Alle Haare wieder

Aus 2.087 Nacht

Gamal Hadschi-ab-del-Kuhstall-ibn-Dattel-dal-Kefir-al- Lamalach war verzweifelt. Nein: Nicht die uns zuletzt bekannt gewordene temporäre Schwäche seines Liebstöckels war es, die ihn zagen ließ: Längst hatte er jene überwunden, übrigens sehr zum Missfallen seiner Frau Mach-Mal-Forran, die ihm gerne dann den Zutritt zu ihrem Schlafgemach verwehrte, wenn sie befand, er habe beim Einnehmen des Nachtmahles zu vernehmlich geschmatzt – und das tat er ihrer Ansicht nach allabendlich; andererseits sehr zum Gefallen von Suleika Kaftaneraff, der edelsten Kurtisane, die Gamal Hadschi-ab-del- Kuhstall-ibn-Dattel-dal-Kefir-al-Lamalachs prunkvolle Heimatstadt Mach-al-Glabbach aufzuweisen hatte; denn hatte Suleiken ob der bereits erwähnten Hängepartie des gönnerigsten ihrer Gönner schon um eine stattliche Einnahmequelle gebangt und nach Durchsicht ihrer Geschäftsbücher durch ihren Finanzberater Hassan-mal-an- Dinar mit dem für sie allerdings überaus tristen Gedanken gespielt, ihrem ihr seit vielen Jahren treu ergebenen Eunuchen All-as-Ab den Laufpass zu überreichen, so konnte sie durch Gamal Hadschi-ab-del-Kuhstall-ibn-Dattel-dal-Kefir-al-
Lamalachs auf unerklärliche, jedoch keineswegs unerfreuliche Weise wiedergefundene Manneskraft nunmehr dem gewohnten Lebensstil in der Qum-Erinn-Gasse weiterhin frönen.

Das also war es nicht, was Gamal Hadschi-ab-del-Kuhstall-ibn- Dattel-dal-Kefir-al-Lamalachs brokatbesetzte Mannesbrust unter schweren Seufzern sich gar häufig heben und senken ließ. Auch liefen seine Geschäfte gut: Seine teils zahl-, teils zahnlosen Handelspartner bis ins ferne Land Köll-al-Alaaf vertrauten nicht zuletzt aufgrund ihres recht übermäßigen Lebenswandels nach wie vor seiner schon legendären Fähigkeit, aus Kameldung gar güldene Dinare sprießen zu lassen, die dann in der Heimat beim Genusse manch süffigen Getränkes und der Erzählung oft atemberaubender Abenteuer im Kreise wohlgelaunter Freunde – wiewohl diese von jenen so genannten Ausritts-Berichte einer Überprüfung ihres Wahrheitsgehaltes nur selten Stand gehalten hätten – wiederum über den Schanktisch wandern sollten, um somit durch weitere Zersetzung der cerebralen Fähigkeiten ihrer Besitzer die Grundlage für die fortgesetzte Mehrung des Reichtums unseres so rechtschaffenen und ehrwürdigen Freundes zu schaffen. Nein, auch die Lage seiner Handlung war es nicht, die Gamal Hadschi-ab-del-Kuhstall-ibn-Dattel-dal- Kefir-al-Lamalach sich immer wieder mit Gramesblick an sein von einem golddurchwirkten, schwerseidenen Turban aufs Edelste gekröntes Haupt greifen ließ.
Aber was war es dann, das das Herz unseres Freundes derart beschwerte?

Erinnert Euch, meine Zuhörer, daran, dass in seinem Euch einstens kund und zu wissen getanen Erlebnis unser Freund Gamal Hadschi-ab-del-Kuhstall-ibn-Dattel-dal-Kefir-al- Lamalach vom Scheitel bis zu den perlenbestrumpften Knien in einem magischen, schwarzen, klebrigen und im Geruche überaus an Wildschweine gemahnenden Sud versunken war, bevor er im Zustande höchster Verwirrung endlich sein trautes Heim nebst seiner mit der Stimmlage eines ganzen Krähenfeldes ausgestatteten Gattin erreichte. Zwar war es ihm mit Hilfe seines Dieners Ali und allerlei von diesem eilends bei dem stadtbekannten Giftmischer Qud-al-Muh erworbenen Essenzen gelungen, seine Haut von dem üblen Brodem zu befreien. Jedoch zeigten sich nunmehr Auswirkungen seines damaligen Abenteuers, die ihn, der sich doch stets als der schönste unter den Händlern Mach-al-Glabbachs hatte rühmen können, aufs Härteste trafen: Sein trotz seines nicht mehr jugendlichen Alters noch immer pechschwarzes, von Ali stets kostbar geöltes Haupthaar zeigte deutliche Lücken, an denen seine ansonsten von Suleiken zwar stets aufs Neue besungene, ihm an dieser Stelle aber überaus unlieb visualisierte bronzene Sammethaut das Licht der Sonne nicht mehr zu scheuen schien, wenn er denn einmal seinen
golddurchwirkten, schwerseidenen Turban absetzte, etwa um zu verhindern, dass er durch dessen Verrutschen beim Liebestollen mit Suleiken ihrer voluptiösen Rundungen nicht mehr angesichtig werde. War er denn nun der gerade zurück gewonnenen Freuden auf ihrem Diwan schon wieder verlustig??? Nur zu gerne hätte Gamal Hadschi-ab-del- Kuhstall-ibn-Dattel-dal-Kefir-al-Lamalach sich sein Haar gerauft, aber ach! Da war ja kaum noch des Raufens Fähiges, und die immer kümmerlicher werdenden Reste wollte er nicht auch noch durch eigenes Zutun dem Verderben anheim fallen lassen! Wie verständlich wird uns nun endlich die in der ersten Zeile meines demütigen Berichtes angezeigte Verzweiflung unseres doch so rechtschaffenen und ehrwürdigen Freundes! Unsere Sympathie wird nur noch überstrahlt von unserer grenzenlosen Hilflosigkeit! Denn wie könnten wir vom Orte des Geschehens doch viele Tagesritte entfernten Freunde des vom Schicksal so Geplagten in dieses lindernd eingreifen?

Höret, meine ehrwürdigen Zuhörer, wie die Geschichte endete: Es begab sich aber, dass Gamal Hadschi-ab-del-Kuhstall-ibn- Dattel-dal-Kefir-al-Lamalach in einen schweren Schlummer fiel, darin ihm drei Engel erschienen. Merkwürdige Wesen waren dies, so gar nicht von der Gestalt, in der unser Held sich Engel immer vorgestellt hatte: Der erste hatte die Form eines völlig unlogisch angebissenen Apfels, der zweite bestand aus drei Teilchen: einem Puddingteilchen, einem Marzipanplunder und,
welche Krönung: einer Rosinenschnecke!; der dritte schließlich zeigte sich ihm in der Form eines leichten Knabberriegels, wie sie die Kameltreiber seiner Karawanen vor Jahren auf ihren langen Ritten gerne ihren Wiederkäuern darzureichen pflegten, wenn diese nach langen Entbehrungen den Höcker abzugeben drohten. Diese drei Engel nun sprachen zu unserem Freunde: „Gamal Hadschi-ab-del-Kuhstall-ibn- Dattel-dal-Kefir-al-Lamalach, höre! Wir kennen Deine Gram und wissen auch um den bösen Dämon, der ihre Ursache darstellt! Wisse, dass es der Gesang des mächtigen Dschinns Pief-al- Henna ist, der jenseits der Pforten der Wahrnehmung normaler Sterblicher, aber dennoch derart unmenschlich ertönet, dass Blumen welken, Katzen sterben, Haare im Winde verwehen, kurz: alles Schöne vergeht, und so auch Dein Haar. Doch Gefallen findet Dein Schöpfer an Dir und Deinem Tun, und so sollest Du den geheimen Zauber offenbart erhalten, der jenem unheilvollen Wirken Einhalt zu gebieten in der Lage ist: Ein Klang ist es wiederum, der von uns und allen Rechtschaffenen und Ehrwürdigen alljährlich, wenn die dunkle Seite der Nacht ihren Höhepunkt erreicht, angestimmet wird. Zwar sind manche der Sänger gelegentlich nicht ganz textsicher, machen sich und uns schon einmal ein Jahr für ein Haar vor, doch schmälert dies nicht die überaus heilende Wirkung, die bislang den bösen Dschinn noch stets in seine Schranken verwiesen hat.“
So sprachen die drei Engel, und alsbald waren da viele weitere Engel allerlei Geschlechts bei ihnen, und sie huben an zu singen, dass es Gamal Hadschi-ab-del-Kuhstall-ibn-Dattel-dal- Kefir-al-Lamalach ganz leicht ums Herz wurde. Und da er erwachte, rief er sogleich seinen treuen Diener Ali, dass er ihm einen Spiegel brächte, und sah voller Freude, dass sein Haupthaar nicht nur zurückgekehrt war, sondern auch noch eine ganze Reihe Nebenhaare um sich geschart hatte. Schier sprachlos vor Glück konnte er nur noch das stammeln, was dem Titel des ihm so geheimnisvoll zuteil gewordenen Klanges beinahe bis aufs Haar glich: „ALLAH! Haare wieder!“

Lulu!